Michaela Wein: Gegen die WM sind nur Spießer und Bobos wie Oliver Lukesch.
Ich komme ursprünglich aus Simmering. Wem das nichts sagt, dem sei an dieser Stelle erklärt: Simmering ist ein Wiener Arbeiterbezirk, der politisch traditionellerweise rot (und ein bisschen blau) gefärbt ist. In Simmering wird mitunter in einem lustigen Dialekt gesprochen („Heast“, „Oida“). In Simmering spielen viele Jungen im Fußballverein. In Simmering gibt es nicht so viele Bobos.
Ich bin sehr früh geflüchtet aus diesem Bezirk. Mitunter leugne ich meine Herkunft. Wenn ich dann doch in besagten Bezirk muss, würdige ich meine Mitmenschen keines Blickes. Aber dann und wann, beim Autofahren zum Beispiel, verfalle ich in einen Simmeringer Proletenslang, der sich gewaschen hat. Und alle zwei Jahre erlebt diese Verhaltensweise einen Höhepunkt: Es ist Zeit für Fußball.
Nicht, dass mich die Champions League interessieren würde, genauso wenig wie die Fehden zwischen Rapid und Austria. Länderspiele sind meist ohnehin peinlich für Österreich. Aber ein Großbewerb wie die Europa- oder Weltmeisterschaft – da entgeht jenen etwas, die sich dem Hype verwehren.
Ja, ich weiß, eigentlich ist Fußball blöd und sinnlos, Südafrika hat als Gastgeberland der Weltmeisterschaft vermutlich auch nicht viel von dem ganzen Tamtam, und diese gewaltbereiten Hooligans erst! Genau, jetzt kommt das ABER: es gibt nichts schöneres, als sich zumindest einmal in zwei Jahren darauf einzulassen, dem Wettkampffieber zu verfallen, zu Hause ein Plakat aufzuhängen, auf dem die Ergebnisse einzutragen sind, und möglichst viel über die unfähigen Schiedsrichter zu schimpfen. Und der Gipfel der Genialität ist die sich bietende Freiheit der Sprache.: „Des gibt’s jo net, wos spüt’n der für an Schaß zam!“ Ja, ich bin Wienerin, und auch in mir schlummert ein Mundl, der hier und da an die Oberfläche dringt.
Wer Schneckerl Prohaska nicht grenzgenial findet, hat einfach keine Ahnung vom Leben, und dazu stehe ich. Wer sich aus Prinzip “so einen Blödsinn” nicht ansieht, der verpasst erstens etwas und ist zweitens lediglich neidisch auf die ansehnlichen Körper der Fußballer.
Liebe Bobos, liebe Fußball-Muffel: lasst es doch einfach sein. Lasst uns die Freude und probiert es aus, ich garantiere euch, es macht Spaß. Kauft euch rot-weiß-rote Socken, schwenkt die Fahne eurer Wahl und singt in der Gruppe „Olé, olé olé oléee“. Fühlt euch glücklich und geborgen in dieser Ansammlung von Menschen, die ein gemeinsames Ziel haben. Flucht, was das Zeug hält, und gebt dem Fernseher sinnlose Anweisungen („Jetz schiaß hoit endlich amoi zum Tor umme!“). Fachsimpelt über Abseitsregeln und die richtigen Fußballschuhe (das Paradies für alle Klugscheißer à la Oliver Lukesch). Und lasst euch die Stimmung nicht von den Vuvuzelas vermiesen – wenigstens müsst ihr das einfältige Gebrabbel eurer Mitmenschen nie wieder hören, weil ihr hörgeschädigt seid. Ihr werdet sehen, es ist gar nicht so schlimm. Auch für Nicht-Simmeringer.
Oliver Lukesch: Fußball ist so langweilig wie ein Kommentar von Michaela Wein.
Am Anfang die positiven Aspekte der Weltmeisterschaft, die lassen sich in einem Satz abhandeln: Die Unterhaltungsindustrie freut sich wie ein Schaukelpferd auf Zucker, Bierproduzenten verdienen sich eine goldene Blase und Leuten zuzuhören, die sich über die Vuvuzela mokieren, macht sogar richtig Laune. Das wars, der Rest ist zum Vergessen.
Meinem Gehirn fehlt offensichtlich der Wurmfortsatz, der aufspringt und sich wie ein Schnüffelkind das Schweißshirt über den Kopf zieht, wenn ein Tor gefallen ist. Ich bin scheinbar zu dumm um zu verstehen, was ich mit der Leistung dieser käuflichen Testosteronpakete auf zwei Beinen mehr zu tun habe als Michaela Wein mit guten Argumenten. Überhaupt verabscheue ich es, mich Sport als passiver Konsument zu nähern. Entweder selbst mitmachen oder ganz darauf verzichten. Das gilt für Fußball genauso wie für Formel1, Curling und ganz besonders Skifahren. Ich bin Nestbeschmutzer und ich steh dazu.
Und nein, sich laut brüllend vor dem Fernseher zu wälzen oder in einer Public-Viewing-Crowd ums Überleben zu Kämpfen hat nichts mit Aktivität zu tun. Auch nicht Mitfiebern bis zum Aneurysma. Liebe Leute, habt ihr kein Leben? Müsst ihr eure verkappten Hoffnungen, Wünsche und Emotionen auf diese paar auswechselbaren bunten Pixel auf einem grünen Screen projizieren? Müsst ihr bei Fußballspielen zu Sonntagsnapoleons mutieren, denen Taktik mit dem goldenen Löffel in den Hintern geschoben wurde? Wie sich sonst einigermaßen reflektierte Menschen wie @martinblumenau oder @schaffertom dem Fußball derart hingeben können, ist und bleibt mir sowieso ein Rätsel.
Es ist ein Armutszeugnis für die Menschheit, dass die einzige Sache, die uns zumindest wenige Mikrometer mehr zusammen bringt, das runde Leder ist. Wenn ihr schon einen kleinsten gemeinsamen Nenner sucht, zu dem ihr euch auch noch mit acht Bier hinter den Binden unterhalten könnt, dann versucht es doch bitte mit Aktienkursen. Die sind auch bunt, spannend, bewegen sich dauernd und basieren auf den urtümlichsten aller Trieben. Und wenn ihr wirklich Adrenalin oder Spannung braucht, dann oder schreibt mir eine Antwort unter dieses Kommentar, damit ich euch verbal zurechtstutzen kann.
Einige Leuten würden das Ölleck im mexikanischen Golf gerne mit dem Linzerauge stopfen. Ich sage: stopfen wir es mit der WM!
Glossen erschienen auf subtext.at und mokant.at
Fotos: Michaela Wein/Oliver Lukesch