Aufgeblättert: „Herznovelle“

Mit unserem Herzen ist es seltsam. Es pocht und schlägt wie verrückt, es hüpft und zerspringt scheinbar, wenn die Gefühle uns überwältigen. Was aber, wenn jemand nicht im metaphorischen Sinn das eigene Herz berührt? Was, wenn dieser jemand es wirklich und wahrhaftig in seinen Händen hält, sodass gar nichts anderes möglich ist, als sich völlig irrational zu verlieben?

Julya Rabinowich lässt in ihrer „Herznovelle“ genau das passieren: Eine ältere Frau wird am Herzen operiert – und erkennt sich danach nicht wieder. Die Lust nach Leben packt sie auf einmal sowie das Verlangen – nicht etwa nach ihrem Mann Bernhard, sondern nach ihrem Arzt, der ihr Herz wahrhaftig berührt.

Herz gib Acht
Einbildung oder Realität? Der Leser erfährt es nicht, das Leben der herzkranken Frau gerät nach der schicksalhaften Operation jedenfalls durcheinander. Die sich schließende äußere Wunde entspricht nicht der seelischen Aufruhr der Patientin, die nicht mehr anders kann, als die Nähe zu ihrem Arzt zu suchen. Das Leben, das mit dem Heilungsprozess in ruhigen Bahnen verlaufen hätte sollen, gerät völlig aus den Fugen. Die eigene Gesundheit wird zur Nebensache, stattdessen nimmt die namenlose Protagonistin ihre Medikamente nicht, um durch die wiederkehrenden Herzprobleme erneut ins Krankenhaus zu müssen. Dort schleicht sie umher, immer auf der Suche nach ihrem Arzt, der auf einmal zum Mittelpunkt ihres Lebens geworden ist.

„Vielleicht
denke ich
vielleicht hättest du mir eher
das Hirn
aus meinem Schädel nehmen
und es umpflügen sollen
mein Herz
konnte doch
nichts dafür“

Dann fass’ ich mir ein Herz
Rabinowich reiht Fragmente einer Gesichte aneinander, lässt vieles unausgesprochen und verpackt Gedankenfetzen und Gefühlsausbrüche in Gedichten, anstatt sie zu beschreiben. Die Österreicherin, die 2008 den Rauriser Literaturpreis für ihr Erstlingswerk „Spaltkopf“ bekam, versteht es, die Verwirrung ihrer Protagonistin und ihre Sehnsucht nach einem neuen Leben für den Leser spürbar zu machen.

Eine simple Liebesgeschichte ist „Herznovelle“ trotz kitschigem Thema nicht.  Ob das Herz nur ein Muskel ist, ein lebenswichtiges Organ oder der Schlüssel zur eigenen Gefühlswelt, lässt Rabinowich offen.

„War das
wirklich nötig
das alles
frage ich ihn.
Das müssen Sie entscheiden
sagt er
ich habe bloß Ihr Herz berührt.“

 

Rezension erschienen auf mokant.at.

Foto: flickr.com/Rev Dan Catt