Nach der erstmaligen Lektüre von „Unterwegs“ war ich mir sicher: Wenn ich groß bin, will ich wie Sal Paradise ziellos durch die Gegend fahren per Anhalter, von wenig Geld und – vor allem – Liebe leben, hier und da ein wenig arbeiten und ansonsten vor allem das Leben genießen. Leider wurde ich nicht mehr viel größer, Autostoppen ist nicht unbedingt die sicherste Reiseart und von der Liebe wird man auch nicht ewig satt. Schon über fünfzig Jahre ist es her, dass Jack Kerouac seinen Protagonisten aus „On the Road“, Sal Paradise, durch die Vereinigten Staaten geschickt hat, um sich auf die Suche zu machen nach … – tja, wonach sucht er eigentlich?
Wo ist die Handlung?
Im Grunde ist es ja so: auf knapp vierhundert Seiten passiert nichts. Rein gar nichts! Gut, Sal Paradise, ein mehr oder weniger erfolgreicher Schriftsteller, fährt quer durch die USA und lernt dabei interessante und gefährliche, schöne und angsteinflößende Menschen kennen. Geblendet vom scheinbaren Glamour von Dean Moriarty, einem verhinderten Künstler und Schriftsteller, fährt er diesem nach und möchte genauso sein wie er. Aber von Spannung oder gar einer abgeschlossenen Erzählung fehlt jede Spur.
Aber was ist dann so besonders an Kerouacs Geschichte? Es ist diese unfassbar schöne Sprache, mit der er die Nichtigkeiten des Lebens beschreibt. Aus einer Autofahrt macht er ein unglaubliches Abenteuer, aus einem One Night Stand die große Liebe. Kerouac findet Worte für Begebenheiten, die unaussprechbar sind. Er feiert das Leben an sich, mit all seinen Kleinig- und mitunter Nichtigkeiten. „Er lispelte, er wand sich, er stotterte, er stöhnte, er heulte, er fiel wieder in Verzweiflung. Er konnte kaum ein Wort herausbringen, so aufgeregt war er, dass er lebte.“ So wunderbar die Sprache, dass sie mitreißt und das Leben in seiner Unfassbarkeit ansatzweise widerspiegelt.
Die Neuübersetzung von „On the Road“, die der Rowohlt-Verlag 1998 herausgegeben hat, hat an sprachlicher Schönheit leider eingebüßt. Wer sich die englische Fassung nicht antun möchte, soll zumindest auf die Übersetzung aus dem Jahr 1959 zurückgreifen. Die Frage „Warum glaubst du, dass ich nicht weine?“, die in der ursprünglichen Übersetzung mit „Du stirbst nicht genug, um zu weinen“ beantwortet wird, wird zu einem viel weniger mitreißenden „Dazu geht es dir nicht dreckig genug.“ Grund genug, um sich auf die Suche nach der alten Fassung zu machen.
Helden der Beat-Generation
Jack Kerouacs „Unterwegs“ trägt autobiographische Züge: William S. Burroughs, dessen Roman „Und die Nilpferde kochten in ihren Becken“, den er mit Kerouac geschrieben hatte, vor kurzem endlich erschienen ist, kommt ebenso vor in Kerouacs Roman wie Allen Ginsberg. Unvorstellbar, wie diese Bibel der Beat Generation verfilmt werden soll! Man lasse unbeachtet, dass „Twilight“-Heldin Kristen Stuart mitspielt – ein derartiges Buch auf die Leinwand zu bannen, scheint ein Ding der Unmöglichkeit.
Also lehne ich mich zurück und lese weiter, zum x-ten Male, in „Unterwegs“ und träume davon, wie Sal zu sein, immer unterwegs und niemals ankommend. Denn „die einzig wirklichen Menschen sind für mich die Verrückten, die verrückt danach sind zu leben, verrückt danach zu sprechen, verrückt danach, erlöst zu werden, und nach allem gleichzeitig gieren – jene, die niemals gähnen oder etwas Alltägliches sagen, sondern brennen, brennen, brennen wie phantastische gelbe Wunderkerzen, die gegen den Sternenhimmel explodieren wie Feuerräder, in deren Mitte man einen blauen Lichtkern zerspringen sieht, so dass jeder ‚Aahh!‘ ruft.“
Rezension erschienen auf mokant.at
Foto: Michaela Wein