Diese letzte Jännerwoche. Es sind die schlimmsten Tage des Jahres, obwohl ich mir jedes Jahr sage, diesmal wird es nicht so schlimm, immerhin ist es schon so lange her. Aber dann kommen die Erinnungen hoch und die Erinnerung ist eine Dampflok, die mich dann doch immer wieder aufs Neue niederwalzt und mich sprach- und hilflos macht.
Ich war neun, als mein Vater starb. Bis heute hab ich das Gefühl, dass ich es nicht wirklich verstanden habe, dass sich damals plötzlich eine Tür geschlossen hat, die ich nie wieder öffnen konnte, um zu begreifen und zu erfassen. Plötzlich ist jemand fort, weg, und man verbringt seine Zeit damit, weiterzumachen, obwohl man eigentlich nicht genau weiß, wie.
Es war die Zeit, als ich zu schreiben begann. Ich konnte nicht begreifen, was passiert war, und füllte deshalb Seite um Seite, ganze Tagebücher voll. Aus Micky-Maus-Tagebüchern mit Schloss wurden geschützte Word-Dokumente, aus unbeholfenem Gestammel und Erinnerungsfetzen die festgehalten werden wollten, um nicht für immer verloren zu gehen, wurden lange Texte, Songtexte, sogar Gedichte und Briefe. Ich machte das Schreiben zu meiner liebsten Tätigkeit und dachte, dass ich irgendwie dahinter kommen müsste, irgendwann, was passiert war und wo der Fehler lag, den ich begangen hatte, dass man mich einfach verlassen konnte. Ich fand ihn nicht. Ich fand ihn nie, weder in fremden Texten noch meinen eigenen.
Ich weiß nicht, ob mein Vater es gutheißen würde, dass ich tue, was ich tue. Ich habe keine Ahnung, welchen Weg er sich für mich gewünscht hat. Ich habe nur noch wenige, winzig kleine Erinnerungen an ihn, die in irgendwelchen Tagebüchern stehen und ich bin mir nicht mal mehr sicher, ob sie wahr sind oder meiner Fantasie entspringen. Ich weiß nicht, ob meine alljährliche Traurigkeit im Jänner echt ist oder eingebildet. Ich bin mir nicht mal sicher, ob man nach so langer Zeit überhaupt noch traurig sein kann oder ob es nicht einfach die Erinnerung an etwas, das ewig zurückliegt und deshalb so wundervoll erscheint, ist, die einem die Tränen in die Augen treibt.
Ich schreibe noch immer, und nach sechzehn Jahren bin ich mit meinen Gedanken noch keinen Schritt weitergekommen. Meine Festplatte ist voller Texte und Gedankenfetzen die zu nichts führen, und solange ich nicht dahinterkomme, was passiert ist, als er ging, kann ich nichts tun, als weiterzuschreiben.
Ich dachte ich sehe mal nach, was hier an Kommentaren abgesetzt wurde;
leider nichts – aber das ist auch ein thema, mit dem man noch nicht konfrontiert war und daher nicht nachvollziehen bzw. nachfühlen kann oder man hat so etwas schon erlebt und ist viel zu berührt – so ging es mir jedenfalls – um darauf reagieren zu können, ohne einen Schwall von unerwarteten, heftigen Emotionen aufkommen zu spüren.
Geschrieben ist es einfach genial, die innere zerrissenheit, trauer, auswegslosigkeit, ratlosigkeit ist für mich als Leser so deutlich zu spüren – ich war damals zwar dabei, aber meine gefühle waren anders, ich war auch älter….
Papa wäre unheimlich stolz auf sein Nesthäckchen!
Es wird noch öfter weh tun, zB wenn du zum Traualtar schreiten mußt und dein Vater ist nicht da, um dich deinem Zukünftigen zu übergeben, oder wenn du handwerklich etwas brauchen würdest und die Geschicklichkeit deines Mannes Grenzen hat, oder wenn du Kinder zur Welt bringst, die nicht in den Genuß eines Opas kommen ……
Aber wir haben ja noch Mama – unser immer greifbare, fürsorgliche, uns ihr Auto borgende, uns im Krankheitsfall Hühnersuppen kochende Mama!
Mit Grauen denke ich daran, dass auch sie eines Tages nicht mehr Stütze, Rückhalt und Geborgenheit ist…